Ein Segelblog

Eine Böe zu viel

Wir sind noch an dem gleichen Tag, an dem wir in Marigot auf Saint Martin angekommen sind mit einem Leihwagen aufgebrochen, um die Insel zu erkunden. Da es im Grunde nur eine Straße gibt, die um die Insel führt, mussten wir uns nur entscheiden, ob wir im oder gegen den Uhrzeigesinn um die Insel fahren. Entschieden haben wir uns dann dafür gegen den Uhrzeigersinn in Richtung Süden der Insel zu fahren, genauer gesagt zum Flughafen. Warum fährt man freiwillig zum Flughafen, fragen sich manche, aber dazu später mehr. Der Weg an der Küste entlang war schon an sich aufregend, denn überall auf der Straße verteilt lagen alte, verrostete Autos oder Busse, die, die Straßen teilweise komplett blockierten, sodass es nur über Parkplätze und Bürgersteige weitergehen konnte – natürlich immer im Wechsel und nach lautstarker Absprache mit dem Gegenverkehr.

Später haben wir erfahren, dass die Autos nicht etwa die letzten Überbleibsel des Hurrikans Irma, der 2017 die Insel verwüstet hat, sind, sondern eine Protestaktion. Hier protestieren die Bewohner der französischen Seite Saint Martins gegen die Regierung Frankreichs. Diese versucht zurzeit die Bürger, die direkt an diesem Küstenstreifen leben zu enteignen, da dieser Bereich als „red zone“ eingestuft wurde, also als extrem gefährdet im Falle eines Hurrikans. Der Mann, der uns zu dem Mietwagen verholfen hat, erzählte uns, er sei auch von der Enteignung betroffen und hätte kein Verständnis dafür. Über viele Generationen hinweg wurden die Grundstücke und Häuser weitergegeben und haben bis jetzt jeden Hurrikan überstanden. Nun, da viele der Häuser sogar schon aus Stein sind, habe man noch weniger Verständnis für die Einschätzung der französischen Regierung.

Ein alter Bus blockierte die Straße

Nachdem wir uns also durch die Autos und Busse auf den Straßen geschlängelt hatten, ging es zum Flughafen. Nun, nicht direkt zum Flughafen, sondern zum Strand am Flughafen. Bekannt ist dieser Strand aufgrund des kurzen Abstandes zur Start- und Landebahn. Adrian und ich hatten schon zahlreiche Fotos und Videos von den startenden Flugzeugen und fliegendem Sand gesehen, aber wir wollten uns selbst ein Bild davon machen. Dort war dann auch schon das erste Flugzeug am Horizont zu erkennen, das sich gerade im Landeanflug befand. Kurze Zeit später flog es mit einem ohrenbetäubenden Lärm nur wenige Meter über unsere Köpfe hinweg, um dann hinter dem Zaun sicher zu landen. Eine wahnsinnige Erfahrung. Wie soll das erst werden, wenn ein Flugzeug vor unseren Augen startet?

Zum Glück gibt es in den Bars an dem Strand Tafeln, an denen die Abflugzeiten der größeren Flugzeuge stehen. So wussten wir also, dass es nicht mehr lange dauerte, bis ein größeres Flugzeug abheben würde. Mutig stellten wir uns auf den Strand genau in die Mitte der Landebahn und somit genau hinter das startende Flugzeug. Was sollte schon groß passieren, ein bisschen mehr Wind, warm könnte es sein und ein bisschen Sand sollte wohl aufgewirbelt werden.

Vielleicht hätten wir die Schilder ernst nehmen sollen

Als dann der Pilot die Triebwerke hochgefahren und das Flugzeug mit der Bremse ein bisschen länger als wahrscheinlich nötig auf Position gehalten hat, bereuten wir unseren Mut sofort wieder. Aber zurück ging es auch nicht mehr. Was uns entgegen kam war ein Sturm aus heißem, stinkenden Abgas, der alles, was nicht angeschraubt war, mit sich gerissen hatte. Sandkörner, die sich anfühlten, wie Millionen kleine Nadelstiche auf der Haut haben uns zusammenkauern lassen und trieben uns immer weiter Richtung Meer. Dazu kam ein Lärm und Sandsturm, bei dem man nicht mehr wusste, wo man war. Definitiv eine Erfahrung, die man mal gemacht haben muss, aber auf ein zweites Mal auch gerne verzichten kann.

Dicht über unsere Köpfe flogen die Flugzeuge

Nachdem wir also den Sand aus allen Rucksäcken, Kleidungsstücken und Schuhen entfernt hatten, stiegen wir erschöpft wieder ins Auto und suchten die nächstbeste Kneipe an der Lagune auf, um uns von dem Schock zu erholen und wieder zu Kräften zu kommen. Den Rest des Tages suchten wir weiter erfolglos nach einem neuen Außenbord-Motor für unser Schlauchboot, haben noch ein paar Kleinigkeiten eingekauft und sind nach einem leckeren Essen müde ins Bett gefallen.

Den nächsten Tag haben wir mit einer kleinen Wanderung auf die benachbarte Burg Fort St. Luis begonnen. Von dort aus hatte man einen traumhaften Blick über den Hafen, die Bucht und die große Lagune.

Der Blick von Fort St. Luis

Weiter ging es nach Philipsburg, die Hauptstadt der niederländischen Hälfte Sint Maartens. Hier fanden wir eine Strandpromenade mit Angeboten vor, wie sie sonst nur auf Mallorca gemacht werden (fünf Bier in einem eisgekühlten Eimer mit zwei Rum Punch für 10 Dollar). In der Parallelstraße erwartete uns eine langgezogene Reihe von Schmuck-, Uhren und Souvenirgeschäften – natürlich duty free. Schade, dass auch diese Hauptstadt so sehr dem Kreuzfahrt-Tourismus verfallen ist und wenig der landestypischen Kultur oder normales Leben bietet.

An der Ostküste fuhren wir weiter nach Norden und kühlten uns an einem sonst menschenleeren traumhaften Strand im Meer ab. Hier hätte man problemlos in jede Richtung ein Foto machen und dies auf Postkarten drucken können. Türkisfarbenes Wasser, ein weißer Sandstrand und Palmen, die ein wenig Schatten spendierten, ließen uns für einen Moment die Zeit vergessen.

Weiter im Norden sind wir an einigen kleinen Orten und verlassenen Stränden vorbeigekommen, doch wir wollten wieder zurück aufs Schiff, zurück aufs Wasser. Also hieß es vorerst für ein letztes Mal ausklarieren, beim Hafen abmelden, ablegen, Segel setzen und Kurs Richtung Westen. Ich war grade dabei das Schlauchboot zusammenzufalten und wieder zu verstauen, da ist neben dem Mast plötzlich eine Mutter aufs Deck gefallen. Bei der Größe konnte das nur etwas Wichtiges sein und tatsächlich, der Ursprung war schnell gefunden. Der Bolzen, der den Baum am Mast fixiert und gleichzeitig das Großsegel am Mast hält ist von unten mit einer Mutter gesichert (gewesen). Dadurch, dass Druck auf dem Großsegel war, konnte ich dabei zugucken, wie dieser Bolzen langsam herausgezogen wurde. Jetzt kam es auf jede Sekunde an. Auch wenn wir vor dem Wind segelten, ließen wir das Großfall aus der Klemme und damit das Großsegel ein Stück nach unten. Mit einem Gummihammer konnten wir dann den Bolzen wieder nach unten schlagen und mit der Mutter fixieren. Was passiert wäre, wenn das Segel den Bolzen ganz herausgezogen hätte und der Baum nicht mehr am Mast fixiert gewesen wäre, möchten wir uns lieber nicht vorstellen.

Nach einer aufregenden Nacht, in der wir zwischen den British Virgin Islands hindurch navigierten und dabei einer Vielzahl an Kreuzfahrtschiffen ausweichen mussten, spülte ein kräftiger Regenschauer das Schiff sauber. Das war auch nötig, denn zuvor hatten wir unter Großsegel, Solent und Spinnaker einen Topspeed von 19,9 kn beim surfen der großen, langgezogenen Wellen erreicht.

Hier zieht uns der Spi noch

Nach dem Regenschauer fuhren wir auf einmal viel langsamer als zuvor, sodass ich nach draußen ging, um zu sehen, ob die Segel noch richtig standen. Großsegel, top. Solent, top. Spinnaker, wo ist der Spinnaker? Das war wohl eine Böe zu viel für ihn, denn er ist glatt von oben bis unten an den äußeren Kanten gerissen und wir schleppten ihn durchs Wasser hinter uns her. Kein Wunder warum wir so langsam waren. Mannschaft wecken, Schwimmweste an und zu zweit haben Adrian und ich das Segel aus dem Wasser gezogen und sicher in einer Kiste verstaut. Schade eigentlich.

Hier hängt der Spinnaker zerrissen im Wasser

Früh am Morgen hat ein Erdbeben der Stärke 6,4 den Süden Puerto Ricos heimgesucht, das auf der ganzen Insel für Stromausfall sorgte. Außerdem wurde eine Tsunamiwarnung ausgesprochen, die allerdings kurze Zeit später wieder aufgehoben wurde. Gruselig ist das trotzdem, wenn man zu der Zeit auf dem Wasser ist. Nachmittags sind wir ohne weitere Zwischenfälle sicher in San Juan angekommen und haben uns über die App einklariert. Zwei Beamte der Homeland Security, die auch für Zoll und Einwanderung zuständig sind, kamen zu uns aufs Schiff und wollten unser Visum sehen. Kein Problem dachten wir, wir hatte ja alle über das ESTA Formular ein Visum beantragt und auch genehmigt bekommen. Wir wurden allerdings eines Besseren belehrt, denn ESTA deckt nur Einreisen über einen kommerziellen Weg ab, also per Flugzeug oder Kreuzfahrtschiff. Alle privaten Einreisen, sei es per privatem Flugzeug oder eben per Schiff benötigen das B1/B2 Visum. Nun, zumindest können wir sagen, dass wir in einem Puerto Ricanischen Polizeitruck mit Blaulicht gefahren sind. Viele Erklärungen und zwei Stunden später waren wir aus der Zollstelle entlassen und wurden sogar zum nächsten Restaurant gefahren.

Geduldig haben wir auf die Amerikanische Bürokratie gewartet

Heute wird noch Wäsche gewaschen, aufgeräumt, sauber gemacht und wir werden uns die Altstadt von San Juan einmal ansehen. Leider wird am Samstag diese Reise schon zu Ende gehen, aber wir werden sicherlich noch einiges vorher erleben.

1 Kommentar

  1. Rolf Brand

    Wieder ein spannender, schön geschriebener, Bericht.
    Ich wünsche euch eine gute Heimreise

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